Queerpolitischer Aufbruch adé?

by Redaktion Parteipolitik

Der Bun­desver­band Les­ben und Schwule in der Union (LSU) stellt den von der Ampel-Regierung vor einem Jahr verkün­de­ten “Queer­poli­tis­chen Auf­bruch” zunehmend in Frage: “Ein Vier­tel der Leg­is­laturpe­ri­ode ist bere­its rum und für viele Vorhaben sind bish­er eher zöger­liche Umset­zungs­fortschritte erkennbar. Der anfangs selb­st for­mulierte ‘Queer­poli­tis­che Auf­bruch‘ hat sich bis jet­zt weniger in tat­säch­lich umge­set­zten Vorhaben gezeigt, als in per­son­alpoli­tis­chen Entschei­dun­gen. Ein Queer-Beauf­tragter war bekan­ntlich schon einen Tag nach dem Start der Ampel-Regierung ernan­nt”, macht der Bun­desvor­stand der LSU gemein­sam deut­lich. 

Bestes Beispiel für die Ver­wässerung der eige­nen Ansprüche ist aus Sicht der LSU die Reform der Geset­zge­bung für Men­schen mit trans­geschlechtlich­er Iden­tität. So wurde das von der Ampel dahinge­hend angestrebte Selb­st­bes­tim­mungs­ge­setz erst Ende Juni ‑sieben Monate nach Start der Regierung- mit einem Eck­punk­tepa­pi­er umris­sen, um dann nach drei weit­eren Monat­en und erst auf Anfrage ein­er Abge­ord­neten der Links­frak­tion im Bun­destag Anfang Okto­ber durch den Queer-Beauf­tragten der Bun­desregierung Sven Lehmann mit­teilen zu lassen, dass der Ref­er­ente­nen­twurf für das Gesetz derzeit erar­beit­et würde und die Ressortab­stim­mung und Ver­bän­de­beteili­gung bis Ende des Jahres erfol­gen solle. Die Her­beiführung des Kabi­netts­beschlusses und die Befas­sung des Par­la­ments mit dem Gesetz dürften dann nochmal einige Monate kosten. Noch im März hat­te der Queer-Beauf­tragte selb­st angekündigt, dass bis Ende des Jahres das vierzig Jahre alte und damals von ein­er sozial-lib­eralen Koali­tion einge­führte Trans­sex­uel­lenge­setz, abgeschafft und durch ein Selb­st­bes­tim­mungs­ge­setz erset­zt sei. Die LSU kri­tisiert, dass bei der Geset­zes­re­form immer neue Zei­tho­r­i­zonte genan­nt wer­den und sieht darin ein Spiel mit den Erwartun­gen der Com­mu­ni­ty. “Den Betrof­fe­nen ist am wenig­sten geholfen, wenn sie ständig neue Ungewis­sheit darüber haben wie sie Entschei­dun­gen zu Ihrem Leben und Ihrer Per­son tre­f­fen sollen, weil sie sich zwis­chen einem bald nicht mehr gülti­gen und einem noch nicht mal gülti­gen Gesetz hin und her ori­en­tieren müssen”, bringt LSU-Bun­desvor­sitzen­der Alexan­der Vogt die damit ver­stärk­te Unsicher­heit viel­er Betrof­fen­er auf den Punkt.

Auch bei anderen Vorhaben stellt die LSU fest, dass die anfängliche Euphorie über einen “Queer­poli­tis­chen Auf­bruch” zeit­ig der Erken­nt­nis gewichen ist, dass die selb­ster­nan­nte “Fortschrittskoali­tion” keine großen Sprünge wagt. Das erste Han­deln der neuen Regierung drehte sich zunächst ein­mal um Posten. So hat­te sie nicht nur einen Queer-Beauf­tragten ernan­nt, son­dern auch die Spitze der Bun­dess­tiftung Mag­nus Hirschfeld in einem frag­würdi­gen Ver­fahren neu beset­zt. Neben dem Selb­st­bes­tim­mungs­ge­setz konkretisieren sich auch weit­ere Großpro­jek­te wie der nationale Aktion­s­plan gegen LSB­TIQ-Feindlichkeit nur allmäh­lich. Dabei hat­ten sich bere­its bei der Innen­min­is­terkon­ferenz im Dezem­ber 2021 die für Inneres zuständi­gen Min­is­ter und Min­is­terin­nen sowie die Sen­a­torin­nen und Sen­a­toren der Län­der mit der vorurteilsmo­tivierten Has­skrim­i­nal­ität LSBTIQ befasst und dem Bun­desin­nen­min­is­teri­um den Auf­trag gegeben eine unab­hängige Fachkom­mis­sion dafür einzu­berufen. Diese sollte spätestes zur Herb­stkon­ferenz 2022 einen ersten Bericht mit konkreten Hand­lungsempfehlun­gen vor­legen, wie die Bekämp­fung von Gewalt­tat­en gegen LSB­TIQ-Men­schen weit­er verbessert wer­den kann. Die Ein­beru­fung dieser Fachkom­mis­sion hat dann aber erst mal lange auf sich warten lassen. Erst für den 20. Sep­tem­ber 2022 lud das Haus von Innen­min­is­terin Nan­cy Faeser (SPD) zur Auf­tak­t­sitzung dieses unter dem Arbeit­sti­tel “Bekämp­fung homo­phober und trans­feindlich­er Gewalt” ein­berufe­nen Experten­gremi­ums ein. Dabei hat bere­its der gemein­same Bericht des Bun­desin­nen­min­is­teri­ums und des Bun­deskrim­i­nalamts, der am 10. Mai 2022 veröf­fentlicht wurde, gezeigt dass LSB­TIQ-feindliche Straftat­en bun­desweit mit min­destens 1.051 Straftat­en einen Höch­st­stand erre­icht haben — eigentlich ein Alarm­sig­nal, dass nicht nur ziel­gerichtetes, son­dern vor allem schnelles Han­deln erfordert.

“Wir sind uns bewusst, dass der rus­sis­che Angriff­skrieg gegen die Ukraine und die daraus resul­tierende Energiekrise derzeit das poli­tis­che Han­deln in Deutsch­land maßge­blich bes­timmt und entsprechende Kräfte bün­delt, aber es fällt schon auch auf, dass auch andere Wun­sch­pro­jek­te der Koali­tion mit Nach­druck vor­angetrieben wer­den, während LSB­TIQ-poli­tis­che Vorhaben eher auf die lange Bank geschoben wer­den. Da entste­ht schon der Ein­druck, dass die Pri­or­itätenset­zung eigentlich woan­ders liegt und die Com­mu­ni­ty mit Ergeb­nis­sen bis kurz vor der näch­sten Bun­destagswahl hinge­hal­ten wer­den soll, um ihr dann Gründe für die Wieder­wahl zu präsen­tieren”, befürchtet Alexan­der Vogt.

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